Corona – Wer zahlt die Zeche?

Die Schuldenbremse ist ausgesetzt, von der „schwarzen Null“ spricht niemand mehr. 2020 hat sich der Bund mit 130 Milliarden Euro verschuldet, für dieses Jahr sind zusätzliche Ausgaben in Höhe von 240 Milliarden Euro geplant. Hinzu kommen die neuen Fremdmittel der Länder und Kommunen und die durch Konjunkturtief, Gewerbeschließungen und Kurzarbeit bedingten Mindereinnahmen des Fiskus. Unser Finanzminister und Kanzlerkandidat Olaf Scholz outete sich als „überzeugter Keynesianer“, der Staat investiert in der Krise massiv zum Wohle der Wirtschaft und in den Erhalt von Arbeitsplätzen. Das war und ist richtig aber auch teuer – wer bezahlt das eigentlich alles?

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Schuldenquote und Wirtschaftswachstum

Ein Teil der Frage ist gar nicht so kompliziert zu beantworten: Schulden der öffentlichen Hand werden der besseren Vergleichbarkeit wegen nicht in absoluten Zahlen, sondern in Prozent der Wirtschaftsleistung angegeben. Der Schuldenstand der Bundesrepublik könnte Schätzungen zufolge in diesem Jahr auf 75 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen, im europäischen Vergleich ein relativ geringer Wert.

Infolge der Finanzkrise 2008 lag die Schuldenquote zwischenzeitlich bei über 80 Prozent, ließ sich allerdings bis 2019 auf unter 60 Prozent drücken. Deutschland tilgte einen Teil, vor allem aber wuchs die Wirtschaft, wodurch der prozentuale Wert signifikant sank. Tatsächlich reduzierte sich die Verschuldung des öffentlichen Gesamthaushalts bis 2019 seit dem Höchststand 2012 „nur“ um etwa 169 Milliarden Euro, was gemessen am BIP des vorvergangenen Jahres nicht einmal fünf Prozent entspricht.

Mr. Keynes, Zinsen und die Inflation

Bereits in diesem Jahr können wir wieder mit Wachstum rechnen, es ist also davon auszugehen, dass sich der beschriebene Effekt zukünftig erneut zeigt. So lässt sich auch der von Olaf Scholz propagierte Keynesianismus verstehen: Der Staat verschuldet sich in Krisenzeiten um die Wirtschaft zu stützen und den Aufschwung von Morgen zu ermöglichen. Läuft die Konjunktur wieder, erhöhen sich die Steuereinnahmen und die Schulden lassen sich leichter reduzieren.

Dieses Fremdkapital bekommen Staaten, indem sie Anleihen emittieren: Anleger*innen kaufen einen Schuldschein. Der garantiert ihnen die Rückzahlung des Nennwerts am Ende der Laufzeit und normalerweise eine jährliche Zinszahlung. Die Höhe der Zinsen hängt besonders von der allgemeinen Kapitalmarktsituation und der Bonität des Schuldners ab. Deutsche Staatsanleihen sind derzeit nicht verzinst und werden dennoch mit einem Kurs oberhalb von 100 Prozent ausgegeben. Ein Graus für Sparende, ein Segen für den Staat, denn er muss bei Fälligkeit weniger zurückzahlen, als er heute aufnimmt. Die Inflation, also die Entwertung des Geldes, war im Jahr 2020 zwar sehr gering, bewegt sich aber nun wieder auf die von der europäischen Zentralbank angestrebten zwei Prozent zu. Für die öffentliche Hand als Schuldnerin bedeutet das, sie muss nicht nur weniger zurückzahlen, als sie aufnimmt, sondern tut das auch noch mit Geld, das weniger wert ist.

Die Rahmenbedingungen an den Kapitalmärkten sind also für den deutschen Staat mit seiner soliden Bonität derzeit günstig. Der Wirtschaftseinbruch infolge der Pandemie machte die massive Neuverschuldung und die (zumindest vorübergehende) Abkehr vom Mantra der „schwarzen Null“ nötig. Das Zusammenspiel dieser Faktoren sorgte für parteiübergreifende Zustimmung und einen auch rechts der politischen Mitte relativ klaren Konsens: In der Krise brauchen wir einen starken und handlungsfähigen Staat.

Hohe Vermögen und deren Besteuerung

Ob eine zukünftig boomende Wirtschaft ausreichen wird, um die Kosten dieser Krise zu tragen, muss aufgrund der Dimension bezweifelt werden. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Lücke zu schließen und es ist davon auszugehen, dass die Debatte darüber im Bundestagswahlkampf einen hohen Stellenwert genießen wird.

Naheliegend wäre die Wiedereinführung der ausgesetzten Vermögenssteuer. Formal besteht sie bereits seit 1952, wird allerdings seit 1997 nicht mehr erhoben. Der Grund dafür liegt in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Es hielt die damalige Ausgestaltung für verfassungswidrig, eine Erhebung an sich sieht das Grundgesetz jedoch eindeutig vor. Politisch entschloss man sich damals, auch in Anbetracht einer deutlich höheren Einkommensbesteuerung gegen eine unverzügliche Neuregelung. In den Jahren danach fanden sich keine politischen Mehrheiten für die Besteuerung von Vermögen. Gewerkschaften, Teile der SPD und andere progressive Kräfte hingegen starteten mehrfach Initiativen, die finanziell Stärksten wieder angemessen am Gemeinwohl zu beteiligen.

Neben der Wiedereinführung der Vermögenssteuer, die regelmäßig erhoben würde, stehen Konzepte für eine einmalige Vermögensabgabe der besonders Reichen zur Debatte. In der Regel beziehen sich diese Überlegungen etwa auf das reichste Prozent der Gesellschaft. Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung könnten durch eine Abgabe von 10 bis 30 Prozent des Vermögens, bei Freibeträgen in Höhe von 2 Millionen Euro (z.B. bei Immobilienwerten) bzw. 5 Millionen Euro (Unternehmensbeteiligungen), gestreckt auf 20 Jahre etwa 310 Milliarden Euro Mehreinnahmen zustande kommen.

Einkommen und Gerechtigkeit

Solch eine Einmalabgabe birgt allerdings eine besondere Schwierigkeit: Einige Vermögenswerte sind durchaus nicht immer einfach zu ermitteln. Das sieht in der Regel bei Einkommen anders aus. Einkommensteuer zahlen ohnehin alle, hier lässt sich spielend an dem einen oder dem anderen Rädchen drehen. Niedrige und mittlere Einkommen werden derzeit überproportional mit Steuern und Sozialabgaben belastet. Während Steuergelder dem Staat ohne Zweckbindung zufließen, dienen die Sozialversicherungsbeiträge dazu, unsere Daseinsvorsorge zu finanzieren.

Das betrifft zum Beispiel das Gesundheitssystem: Die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung wird aktuell zu großen Teilen von Gering- und Normalverdienenden getragen. Dort zahlen nämlich nur auf den ersten Blick alle ein. Angehörige berufsständischer Versorgungswerke, also etwa Ärzt:innen, Architekt:innen oder Menschen in steuer- oder rechtsberatenden Berufen, sowie Staatsbedienstete, allesamt eher höheren Einkommens, sind in der Regel nicht gesetzlich krankenversichert. Spitzenverdienende entscheiden sich zumeist für die private Form der Absicherung im Krankheitsfall. Es fehlen also die hohen Beiträge der Gutverdienenden, was zu einer höheren Belastung der wirtschaftlich Schwächeren führt. Das SPD-Sozialstaatskonzept möchte derlei Ungerechtigkeiten eindämmen, aber auch bis dahin gibt es Instrumente, wie beispielsweise die Erhöhung von Beitragsbemessungs- und Versicherungspflichtgrenzen. Corona hat aufgezeigt, wie wichtig eine stabile Gesundheitsversorgung ist. Hier sollten wir nicht sparen.

Bei der Besteuerung von Einkommen sieht es ähnlich aus. Geringverdienende zahlen zwar nur einen geringen Prozentsatz, dieser steigt jedoch bei relativ kleinen Einkommenszugewinnen schnell an und erreicht bereits bei knapp 58.000 Euro jährlich das Spitzenniveau in Höhe von 42 Prozent. Der Spitzensteuersatz unterliegt keiner Progression mehr, das heißt, er bleibt bis zu einem Einkommen von 275.000 Euro gleich. Dann erhöht er sich nochmals um drei Prozent auf den sogenannten Reichensteuersatz von 45 Prozent. Dieser lag bis Ende der 1990er Jahre übrigens kontinuierlich oberhalb von 50 Prozent. Wir brauchen hier eine fairere Regelung: Die Steuersätze müssen gemessen am Einkommen langsamer steigen, dafür aber länger und bei einem höheren Satz enden. So können mittlere Einkommen entlastet werden, während die Stärksten einen angemesseneren Beitrag leisten.

Absolute Top-Verdienste entspringen häufig nicht hauptsächlich einem Beschäftigungsverhältnis. Oft handelt es sich um Kapitalerträge wie Zinsen, Dividenden aus Unternehmensbeteiligungen oder Kursgewinnen. Bei Kapitalerträgen wird die Steuer nicht nach dem persönlichen Satz, sondern einem einheitlichen Abgeltungssteuersatz von 25 Prozent berechnet. Das hat den nachvollziehbaren Hintergrund, Investoren nicht mit zu hohen Abgaben abzuschrecken. Sicherlich ließen sich aber auch dafür, zum Beispiel auf europäischer Ebene, gerechtere Lösungen finden.

Die Perspektive

Uns stehen wirkungsvolle Instrumente zur Verfügung, die Kosten der Pandemie gerecht zu verteilen. Einige davon sind oben beschrieben. Die kommende Legislaturperiode wird zeigen, welche wir nutzen. Im Ergebnis wollen wir mehr Geld in den Taschen derer, die heute wenig haben. Davon profitieren alle: Volkswirtschaftlich betrachtet wird von diesem Geld mehr konsumiert, es fließt also ein großer Teil davon zeitnah zurück in den Wirtschaftskreislauf, erhält Unternehmen und sichert Arbeitsplätze.

Für uns ist klar: Die Last darf nicht auf den Schultern der Menschen mit niedrigem oder mittlerem Einkommen liegen. Wir setzen uns dafür ein, hohe Einkommen und speziell hohe Vermögen angemessen zu besteuern und Geringverdienende zu entlasten. Perspektivisch gewinnt andernfalls niemand, höchstens eine kleine Elite.

 

Autor:

Felix Wilsberg