Naivität von CDU und FDP
Die Situation in Thüringen ist aus einer demokratietheoretischen Sicht eigentlich sehr leicht nachzuvollziehen. Mit den Ergebnissen der vergangenen Landtagswahl aus dem Oktober 2019 war keine realistische Koalitionsoption in der Lage, eine absolute Mehrheit zu erreichen.
Das rot-rot-grüne Bündnis des Ministerpräsidenten Ramelow lies es drauf ankommen und ging davon aus, mit einfacher Mehrheit im dritten Wahlgang zu gewinnen und als sogenannte Minderheitsregierung fortzufahren. Nachdem sich wie zu erwarten in den ersten beiden Wahlgängen kein Kandidat finden ließ, der oder die eine absolute Mehrheit auf sich vereinen konnte, trat im dritten Wahlgang der Fraktionsvorsitzende und Landeschef der FDP, Kemmerich, als dritter Kandidat und „Alternative der Mitte“, neben dem Stroh-Kandidaten der AfD, Kindervater, und dem Linken-Politiker Ramelow an.
Wie bereits mehrfach im Vorfeld von Verantwortlichen aller Parteien durchsimuliert und letztlich von den Fraktionen der CDU und FDP angeblich als unrealistisch abgetan, votierte die AfD nun geschlossen für den, auch von der CDU getragenen, FDP-Kandidaten und verhalf ihm damit zu einer Mehrheit gegenüber Ramelow. Der eigene Kandidat der AfD erhielt null Stimmen, ein billiges Spiel. Der nun so häufig benannte Dammbruch fand schlussendlich statt, als Kemmerich diese Wahl auch noch annahm.
Die Methode der AfD ist Chaos
Dieses Ereignis entfachte einen politischen Brand, der schnell die ganze Bundesrepublik erfasste und auch im Ausland zurecht bestürzte Reaktionen hervorrief. Mit der Missachtung etablierter, aber eben nicht festgeschriebener parlamentarischer Regeln, hat die AfD an diesem 05. Februar bewiesen, dass sie bereits mächtig genug ist, das Establishment ins Chaos zu stürzen. So oder so ähnlich wird sie an anderer Stelle immer wieder die Gelegenheiten nutzen, die staatstragenden Parteien in Erklärungsnot zu bringen und einen Spaltpilz zu setzen. Die AfD betreibt eine destruktiv-konstruktive Politik.
Was praktisch in Thüringen passiert, bleibt natürlich spannend. Es ist aber unerheblich in der Debatte über unsere politische Kultur. Das rote Tuch ist gefallen, der Dammbruch vollzogen. Da nützen auch die hektisch aufgeschütteten neuen Brandmauern der FDP und CDU wenig, denn der Flügelstreit in der CDU ist voll entfacht, die Bundesspitze schafft es zunehmend nicht, die Stimmen derer, die gerne schon längst mit der AfD zusammenarbeiten möchten, einzufangen. Die neuen Brandmauern sind eine Farce. Längst bekommt die CDU in Thüringen teilweise Rückendeckung von der Basis, die Stimmung ist bereits nach rechts gekippt. Laut der infratest dimap Umfrage von letzter Woche sind auch gut zwei Drittel der FDP-WählerInnen dazu bereit, dass ihre Partei von Fall zu Fall Kooperationen mit der AfD eingehen soll.
Wenn es der CDU nicht gelingt, auf andere Weise in absehbarer Zeit bundesweite Erfolge zu verbuchen, ist der einzige Ausweg aus diesem Chaos langfristig eine Regierungsbeteiligung der AfD. Denn der anhaltende (jetzt auch politische) Erfolg der AfD wird den rechten Flügel in der CDU weiter antreiben, eine Zusammenarbeit zu fordern.
Es ist eine Zäsur
Ob mit oder ohne Regierungsbeteiligung, seit diesen Tagen ist die AfD endgültig in der politischen Landschaft etabliert – sie hatte zum ersten Mal die Macht über eine Regierungsbildung zu entscheiden. Die AfD-Fraktion war in dieser Abstimmung die wichtigste politische Kraft in einem deutschen Parlament. Die Partei wird von nun an ein bedeutender Machtfaktor im parlamentarischen Gefüge bleiben. Damit schließt Deutschland zu seinen europäischen Nachbarn auf, schon längst ist es eigentlich Normalität, dass rechtspopulistische Parteien die Politik maßgeblich mitbestimmen, auch in Regierungsämtern.
Und dabei ist nicht bloß irgendeine AfD gemeint. Es ist der Landesverband des rechtsextremen Höcke. Ein Mann, der Hitler nicht schwarz-weiß betrachten möchte, behauptet der afrikanische Ausbreitungstyp würde durch Migration unsere Bevölkerung austauschen und sich eine tausendjährige Zukunft für Deutschland wünscht. Die Analogie bedarf keiner weiteren Ausführung. Dieser Mann musste sich vor zwei Jahren noch gegenüber einem Parteiausschlussverfahren verantworten. Heute ist er der erfolgreichste AfD-Politiker in der Parteigeschichte.
Wenn mit dieser AfD, der schlimmsten Sorte, bereits eine Zusammenarbeit greifbar scheint und die Berliner Führung hier offensichtlich keine klare Linie ziehen kann, lässt sich der Damm auch nicht wieder aufschütten. Die alte Warnung „Wehret den Anfängen“ ist nun überschritten. Diese Wunde der deutschen Demokratie geht tiefer, als bisherige Kratzer von DVU oder NPD. Die Anfänge sind überwunden, die Extrem-Rechte ist in Deutschland nun mitten drin. Es ist eine Zäsur.
CDU und FDP lösen zentrales AfD-Wahlversprechen ein
Im Ergebnis streiten sich nun die anderen Parteien, schieben sich gegenseitig die Schuld zu und lassen Köpfe rollen. Als strahlender Sieger geht die AfD hervor. Das unehrenhafte Verhalten der teilweise Rechtsextremen im Thüringer Landtag wird von deren Wählerschaft anders bewertet, als von der medialen demokratischen Öffentlichkeit. Ein erheblicher Teil der Stimmen für die AfD, kamen aus Protest über die etablierten Parteien zustande. Und dieses zentrale Wahlversprechen, mit dem die AfD unabhängig anderer Positionen im ganzen Land Zugewinne macht, wurde in Erfurt mehr als deutlich eingelöst.
Eine Hoffnung, dass dieses „unehrenhafte“ Verhalten der AfD Stimmen kostet, ist unbegründet. In jüngsten Umfragen aus Thüringen haben CDU und FDP bereits massiv verloren, dass nun aber im Umkehrschluss die linken demokratischen Parteien automatisch dazugewinnen ist eine Binse.
Die einzige Möglichkeit dem beizukommen ist eine klare Haltung und konstruktive Politik.
Die Sozialdemokratie wird umso mehr gebraucht

Es macht stolz, was unsere Partei seit dem 05. Februar gezeigt hat. Der vehemente Druck unserer Leute in den Parlamenten und in der Bundesregierung haben unmissverständlich klar gemacht: Diese Grenzüberschreitung lassen wir uns nicht bieten. Mit der Sozialdemokratie als entschiedensten Gegner, werden wir immer ganz genau darauf hinweisen, mit wem wir es hier zu tun haben und alles versuchen, Kooperationen zu verhindern.
Wenn jetzt davon gesprochen wird, unsere Demokratie hätte mit dem Protest auf den Straßen und in sozialen Netzwerken bewiesen, dass sie wehrhaft ist. Dann ist es die Sozialdemokratie, die vorne weg läuft und seit über 150 Jahren alles unternimmt, freiheitliche, soziale und tolerante Werte zu bewahren.
Umso kritischer ist es aber auch, an wie vielen Deutschen diese dunklen Ereignisse nahezu unbeachtet vorüberziehen. Es ist an uns SozialdemokratInnen zu informieren, diese Ereignisse nicht unbeachtet zu lassen und in Schulen, Betrieben, in der Öffentlichkeit weiter darauf aufmerksam zu machen, was genau hier eigentlich passiert. Mit der AfD erhält eine Partei zentrale politische Macht, die Minderheiten gegeneinander ausspielt, rassistische Motive besitzt und nationalistische Ziele verfolgt.
Die AfD hat einen wichtigen Sieg errungen, wir leben seit diesen Tagen in einem anderen Land. Es ist nun an uns, diesem Sieg etwas entgegenzusetzen!